Nachstehender Artikel ist eine Korrespondenz die wir vor kurzem aus Frankreich erhielten. Mit beträchtlichem Umfang bietet sie gute Einblicke in die bisherige Entwicklung der jüngeren Klassenkämpfe, ihren derzeitigen Stand und ihre Perspektiven. Darüber hinaus dürfte für unsere LeserInnen insbesondere die in diesem Artikel mehrfach angesprochene Rolle der Jugend in den gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Kämpfen von Interesse sein.
Dienstag, 19.Oktober 2010: Etwa eine Woche vor der geplanten Verabschiedung der „Pensionsreform“ im Parlament, war der sechste „Aktions- und Streiktag“ nach Ende der „Sommerpause“, mit Massendemonstrationen und einer neuerlichen Verstärkung der Streikwelle gegen dieses Gesetz. In 266 Städten fanden Massendemonstrationen mit insgesamt wiederum, wie beim letzten Mal, 3,5 Millionen Menschen statt (darunter 330.000 in Paris, 240.000 in Marseille, 155.000 in Toulouse, 140.000 in Bordeaux, 50.000 in Rennes, 45.000 in Lyon). Auch die Streiks haben sich gestern wieder intensiviert: Die Eisenbahn stand zur Hälfte, ebenso der Nahverkehr und auch der Flugverkehr. In Bordeaux wurde zeitweilig der Flughafen besetzt und die Zufahrt blockiert. Auch bei Post, Telekom, Electricité und Gaz de France, Müllabfuhr wurde weiter oder wieder gestreikt. Ein Drittel der Lehrer und des Personals der Kindergärten und –krippen streikte ebenfalls und auch andere Bereiche des Öffentlichen Sektors. Der Streik der Raffinerien, der sich inzwischen auf alle Raffinerien ausgedehnt hatte, steht seit einer Woche ohne Unterbrechung. Dort sehen wir auch die größte Kampfentschlossenheit. Die Werkseingänge und Verladeterminals wurden besetzt oder blockiert (Barrikaden, blockierte LKWs etc.), wobei Barrikaden und Blockaden ein wichtiges und erprobtes Kampfmittel sind, Barrikaden oder Reifenberge „in Flammen“ auch sehr spektakulär, die Hauptsache ist aber natürlich nicht die Blockade der Distribution, sondern die Unterbrechung der Produktion. Das Gespenst der Treibstoffverknappung geht um, etwas mehr als ein Fünftel der Tankstellen meldet Engpässe. Auch die LKW-Fahrer haben schon seit Montag ihre Streiks und damit verbundenen Blockadeaktionen verstärkt. Nicht überall haben die Streiks die Breite vom 12.Oktober erreicht (z.B. nicht im Verkehrssektor), aber dort, wo es sie gab (v.a. in der Petrochemie), haben sie sich intensiviert und „radikalisiert“, wie der Herr Premierminister sich ausdrückte.